Die »Nordtiroler Dolomiten«

Schon im Jahre 1340 wurde eine Lokalität „am Chalch in Senders“ urkundlich erwähnt (eine Almwiese im Senderstal bei Grinzens nennen die Einheimischen bis heute „Kalk“). Der Begriff „Kalkkögel“ erschien zum ersten Mal 1774 im Atlas Tyrolensis des genialen “Bauernkartografen” Peter Anich aus Oberperfuss (siehe Ausschnitt oben). In dieser ersten genauen Karte von Tirol sind auch der Ampferstein, die Saile oder der Burgstall eingetragen. Mit dem Aufkommen des Tourismus im 19. Jahrhundert bezeichnete man diese einzigartigen Berge als „Nordtiroler Dolomiten“. Tatsächlich verbindet sie viel mit den weltberühmten Dolomiten, die im Jahr 2009 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt wurden.

Dolomit im Wipptal

Ihren Namen verdanken die Dolomiten einem Forscher namens Guy Sylvain Tancrède Gratet de Dolomieu. Er wurde 1750 im französischen Dorf Dolomieu (zwischen Grenoble und Lyon) geboren, reiste im Lauf seines abenteuerlichen Lebens durch halb Europa und kam im Juli 1798 auch nach Tirol. In der Nähe von Sterzing fiel ihm das helle Gestein mancher Berge auf. Er sammelte ein wenig von diesem Material, beträufelte es mit Salzsäure und stellte fest, dass es dabei – anders als Kalk – nicht aufbraust. Zwei Jahre später berichtete er im Journal de Physique über seine Entdeckung und schickte Proben davon an den Mineralogen Nicolas Thèodore de Saussure, den Sohn des Mont-Blanc-Erstersteigers. Als Namen für das neue Mineral schlug er zunächst Tyrolensis, dann Saussurit vor. Saussure beschrieb es bald darauf in einem Aufsatz unter dem Titel „Analyse de la Dolomieu“. 1794 etabliert der irische Chemiker Richard Kirwan den Begriff „Dolomit“.

1837 erschien in London Murray’s Handbook for Travellers in Southern Germany, einer der ersten Reiseführer, die wohlhabenden Touristen die Schönheit der Alpenlandschaft in Bayern und Tirol nahebrachte. In diesem Buch werden schon peaks and precipices of dolomite beschrieben: „Sie sind anders als all die Berge der Alpen. Sie ziehen die Aufmerksamkeit der Reisenden durch ihre Einzigartigkeit, ihre eigenartigen Formen, mit ihren bizarren, nackten und zerrissenen Felsspitzen, Zinnen und Gipfeln auf sich. Einige erheben sich wie Obelisken, andere wieder wie spitze Türme; dann gibt es wieder gezähnte Felsen, dem Gebiss eines Alligators gleich. Wände viele tausend Fuß hoch umrahmen enge Täler.“ 1864 veröffentlichten Josiah Gilbert und George Cheetham Churchill das Buch The Dolomite Mountains: Excursions Through Tyrol, Carinthia, Carniola, & Friuli – und verhalfen dem Begriff „Dolomiten“ damit zum Durchbruch.

»Verirrte« Dolomiten

Das bizarre Bergland zwischen Bozen und Belluno erlebte in den folgenden 150 Jahren eine atemberaubende Entwicklung, die 2009 mit der Aufnahme in die UNESCO-Liste des Welterbes ihren Höhepunkt fand. Und die Dolomiten wurden zu einer trademark, mit der auch entfernte, ähnlich zerklüftete Berggebiete „geadelt“ wurden: die Lienzer Dolomiten in Osttirol, die Dolomiti di Brenta und die Piccole Dolomiti im südlichen Trentino, die Engadiner Dolomiten in der Schweiz – und die Kalkkögel, unsere „Nordtiroler Dolomiten“. Aus dem historischen Kontext, aber auch aufgrund ihrer erstaunlichen Ähnlichkeit mit den „echten“ Dolomiten tragen sie diesen Titel ganz zu Recht.

Zum Schluss noch ein kleines Suchrätsel: Hier sehen Sie drei Gebirgsgruppen, die den Namen “Dolomiten” tragen – zwei davon sind Weltkulturerbe, eine soll neuen Seilbahnen geopfert werden.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

see

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Geislergruppe (Südtirol), Kalkkögel und Brenta (Trentino).